Giorgio Agamben behauptet in seinem Essay ‘Lob der Profanierung‘, im Profanieren läge politisches Potential. Allerdings, so Agamben, sei es sehr schwer geworden, im “spektakulären Kapitalismus” noch zu profanieren. Die Bedeutung profanierenden Handelns ergibt sich aus Agambens Analyse der Religion und daraus, auch den Kapitalismus – im Anschluss an Walter Benjamin – als religiös zu betrachten.
Agambens Argument geht ungefähr so:
Als Religion läßt sich definieren, was die Dinge, Orte, Tiere oder Menschen dem allgemeinen Gebrauch entzieht und in eine abgesonderte Sphäre versetzt. Nicht nur gibt es keine Religion ohne Absonderung, sondern jede Absonderung enthält oder bewahrt in sich einen genuin religiösen Kern. … Profanieren bedeutet: die Möglichkeit einer besonderen Form von Nachlässigkeit auftun, welche die Absonderung mißachtet oder – eher – einen besonderen Gebrauch von ihr macht. … Der Übergang vom Heiligen zum Profanen kann nämlich auch durch einen völlig unangemessenen Gebrauch (oder eigentlich erneuten Gebrauch) geschehen. Es handelt sich um das Spiel. … [D]as Spiel [befreit] die Menschheit von der Sphäre des Heiligen …, aber ohne diese einfach abzuschaffen. Der Gebrauch, dem das Heilige zurückgegeben wird, ist ein besonderer Gebrauch, der nicht mit dem utilitaristischen Konsum zusammenfällt. … Das Spiel als Organ der Profanierung verfällt allerorten. Daß der moderne Mensch nicht mehr zu spielen versteht, wird dadurch bewiesen, daß sich alte und neue Spiele schwindelerregend vervielfachen. … Das Spiel zu seiner rein profanen Berufung zurückzuführen ist eine politische Aufgabe. … Die Profanierung beinhaltet jedoch eine Neutralisierung dessen, was sie profaniert. Wenn aber das, was nicht verfügbar und abgesondert war, einmal profaniert ist, verliert es seine Aura und wird dem Gebrauch zurückgegeben. …
Nach Benjamin stellt der Kapitalismus nicht nur, wie Max Weber meint, eine Säkularisierung des protestantischen Glaubens dar, sondern ist seinem Wesen nach selbst ein religiöses Phänomen, das sich parasitär aus dem Christentum entwickelt hat. … In der extremsten Form verwirklicht die kapitalistische Religion die reine Form der Absonderung, ohne noch etwas abzusondern zu haben. Eine absolute und restlose Profanierung fällt nun mit einer ebenso leeren und vollständigen Weihung zusammen. Und wie bei der Ware die Absonderung sozusagen zur Form des Gegenstands wird, die sich in Gebrauchs- und Tauschwert aufspaltet und sich in einen unerreichbaren Fetisch verwandelt, so wird jetzt alles, was getan, produziert und gelebt wird – auch der menschliche Körper, auch die Sexualität, auch die Sprache -, von sich selbst abgesondert und in eine abgesonderte Sphäre verschoben, die von keinerlei substantieller Trennung mehr definiert wird und in der jeglicher Gebrauch auf die Dauer unmöglich wird. Diese Sphäre ist der Konsum. …
Wenn profanieren heißt, dem allgemeinen Gebrauch zurückerstatten, was in der Sphäre des Heiligen abgesondert war, dann zielt die kapitalistische Religion in ihrer äußersten Phase auf die Schaffung eines absolut Unprofanierbaren. … Denn profanieren heißt nicht einfach die Absonderungen abschaffen und auslöschen, sondern lernen, einen neuen Gebrauch von ihnen zu machen, mit ihnen zu spielen. Die klassenlose Gesellschaft ist nicht eine Gesellschaft, die jegliche Erinnerung an die Klassenunterschiede abgeschafft und verloren hat, sondern eine Gesellschaft, die deren Vorrichtungen zu entschärfen verstand, um einen neuen Gebrauch möglich zu machen, um sie in reine Mittel zu verwandeln. … [J]edes Nicht-Profanierbare … gründet sich auf die Blockierung und die Ablenkung einer authentisch profanatorischen Absicht. Deshalb muß man jedesmal den Vorrichtungen – jeglicher Vorrichtung – die Möglichkeit des Gebrauchs entreißen, die sie an sich gerissen haben. Die Profanierung des Nicht-Profanierbaren ist die politische Aufgabe der kommenden Generation.
Wenn also profanieren eine der wenigen genuin politischen Handlungen ist, die verbeiben und auch dieses sehr schwer geworden ist, stellt sich die Frage nach dem Wie besonders dringlich. Zeitgenössische Kunst kann neben dem Spiel als ein Feld verstanden werden, wo Religiöses profaniert wird, wo die religiöse Handlung nachläßig in neue Zusammenhänge überführt wird. Von der Kunst lernen, könnte also heissen, profanieren lernen.
Kunst als neue Religion zu begreifen, betrachtet die gleiche Frage aus einem anderen Blickwinkel. Indem die Kunst profaniert, bewahrt sie auch etwas religiöses auf – als Agambens reine Mittel – d.h. Mittel ohne Zweck. Diese aufbewahrten religiösen Reste, diese Reliquien, stehen bei der Betrachtung von Kunst als neuer Religion im Mittelpunkt. Wenn man den profanisierenden und den Reliquien-Aspekt von Kunst zusammendenkt, kann man sich der Dialektik der Religion in der Kunst nähren.
Dein Wort in Gottes Ohr kann als Suche nach solchen religiösen Reliquien betrachtet werden. Und vielleicht kann man neben den genuinen Reliquien auch noch die Methoden der Profanierung erkennen. Ob solche Methoden allerdings auch in andere gesellschaftliche Bereiche als den der Kunst übertragbar sind, wäre auszuprobieren.
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