Paulus scheint ein wichtiger Fokuspunkt für die Frage nach dem Messianismus zu sein. Dabei ist es interessant, sowohl seinen missionarischen Eifer als auch seine philo- bzw. polito-theologischen Argumente für seinen Messias und ihre aktuellen Interpretationen zu betrachten.
Für Agamben (“Die Zeit die bleibt“) eröffnet das messianische Ereignis einen Blick auf ein anderes Verständnis von Zeit, für Alain Badiou (“Paulus – Die Begründung des Universalismus“), ist weniger das Ereignis an sich interessant, sondern die radikale Geste (bei Badiou “Wahrheitsprozess”), mit der sich Paulus zu diesem Ereignis verhält. Während Agamben in erster Linie versucht, die Gedanken des Paulus zu rekonstruieren, ist es Badious erklärtes Ziel, sie für die heutige Debatten nutzbar zu machen:
Wenn ich heute auf ein paar Seiten die Einzigartigkeit dieser Verbindung [zwischen radikalem Bruch und Denken über diesen Bruch] bei Paulus nachdenken will, dann sicherlich deshalb, weil gegenwärtig überall […] die Suche nach einer neuen militanten Figur zu spüren ist, einer Figur, die berufen wäre, derjenigen nachzufolgen, die am Beginn des Jahrhunderts Lenin und die Bolschewisten verkörpert haben…
Badiou will intervenieren, genauso wie Paulus (und nach ihm Marx, Lenin etc, denen ja auch ein messianistischer Geist unterstellt wird) intervenierte. Die Frage nach dem messianistischen Elementen in Badious interventionistischen “Wahrheitsprozess” über die Universalität scheint sich ihm nicht zu stellen. In dieser Feststellung geht es nicht darum, die Leistung des Paulus zu verneinen, die in der radikalen Grenzüberschreitung der sozialen und ethnischen Kategorien der antiken Welt liegt, sondern es geht wieder um die Geste, diesmal die Badious, mit der er sich zu seinen Thesen zum Universalismus verhält.
Im Grunde genommen ist Badiou damit in die Falle des Messianismus gegangen. Einer Falle, der Agamben weitgehend entgeht, sowohl durch seinen rekonstruktiven Stil als auch durch den Bezug auf Walter Benjamins These vom “Kapitalismus als Religion“. Denn:
Es liegt im Wesen dieser religiösen Bewegung, welche der Kapitalismus ist, das Aushalten bis ans Ende, bis an die endliche völlige Verschuldung Gottes, den erreichten Weltzustand der Verzweiflung auf die gerade noch gehofft wird.
Diese Trinität aus Verzweiflung, Hoffnung und Teleologie ist auch der Hauptbestandteil des Messianismus, womit deutlich wird, dass auch die kapitalistische Religion nach Walter Benjamin messianistisch zu denken ist. Wo aber eine turbo-christliche Religion zu einem Gesellschaftsverhältnis so monströsen Charakters wie dem Kapitalismus verdinglicht worden ist, ist Mißtrauen gegenüber ihren Gründungsmythen äußerst angebracht. Die gegenwärtige Debatte aber über den Messianismus wird nicht müde, den Messianismus auf seine emanzipatorischen Bestandteile abzuklopfen. Gerhard Scheit z.B. behauptet in Suicide Attack:
Ohne den Impuls des jüdischen Messianismus gibt es keine Kritik. […] Dieser Impuls […] bedeutet an sich etwas durchaus Abstraktes: dass ein anderes Leben möglich ist…
Mir scheint, mehr Vorsicht wäre hier angebracht, insbesondere wenn die Scholem’sche scharfe Trennung von jüdischem und christlichen Messianismus wirklich hinfällig ist, wie Jacob Taubes1) in “Der Preis des Messianismus” behauptet. Vermutlich ist es notwendig, die Rezeption des Messianismus auch unter dem Aspekt des historischen Materialismus zu interpretieren. Die Frage müßte also lauten, was bedeutet Messianismus geschichtlich im Kontext der jeweiligen Klassenverhältnisse.
Das wäre eine Aufgabe, die noch zu leisten ist, oder zu der mir zumindest der theoriegeschichtliche Überblick fehlt. Als Arbeitshypothese könnte vielleicht folgendes dienen: Messianismus als Erwartung der Erlösung aus einer Gruppe heraus entspricht viel eher den Kräfteverhältnisse der Moderne, als denen der Postmoderne. So gesehen ist der Messianismus vorallem eine Organisationsfrage, und sich heute positiv auf ihn zu beziehen, scheint vor allem eins zu sein: nostalgisch.
1) auf Jacob Taubes bin ich mal wieder durch die Jungle World aufmerksam gemacht worden. Fast scheint es, als ob der Scholem sehr kritisch gegenüberstehende Taubes in einer Art ‘gegenstrebigen Fügung’ als erweiterte Antwort auf die kurze Debatte über die Grundlagen antideutscher Ideologie in der Jungle World rezensiert wurde
jonjon
hey,
Gerhard Scheit nimmt hier, so glaube ich, einen Gedanken von Adorno auf. Für Adorno war die Geburtsstunde des utopischen Denkens in dem Gedanken der Erlösung bzw. der Überwindung des Todes verortet.
Zitat: “Mir scheint, mehr Vorsicht wäre hier angebracht, insbesondere wenn die Scholem’sche scharfe Trennung von jüdischem und christlichen Messianismus wirklich hinfällig ist, wie Jacob Taubes1) in “Der Preis des Messianismus” behauptet. Vermutlich ist es notwendig, die Rezeption des Messianismus auch unter dem Aspekt des historischen Materialismus zu interpretieren. Die Frage müßte also lauten, was bedeutet Messianismus geschichtlich im Kontext der jeweiligen Klassenverhältnisse.”
Gefällt mir gut, der Artikel. Ich kenne Scholem und Taubes leider nicht, jetzt weiß ich also nicht was sie hier im Detail kritisieren/argumentieren. Aber ich glaube schon dass Christentum und Judaismus sich auch hinsichtlich des “Messianismus” deutlich unterscheiden: Schon allein deshalb, weil Jesus im Christentum eben schon da war! Er hat sein Opfer schon gebracht – die Botschaft ist also: Wir können es schaffen, wir haben alle Möglichkeiten, das Wunder ist vollbracht usw… usf. Der Judaismus hat diese noch nicht: Da gibt es noch das Warten auf das Wunder.
Außerdem stellt gerade Badiou heraus (hinsichtlich Paulus) dass das Judentum die Religion der Schrift (und also des Gesetzes) ist, während das Christentum mehr auf das Ereignis selbst (und das Bekennen des Ereignisses) bedacht ist.
Ich glaube das Problem ist nun mal, dass das “Prinzip Hoffnung” immer auch ein bisschen religiös eingefärbt ist.
admin
Hallo Jonjon,
ich habe auch keinen Zweifel daran, das sich der Messianismus des Christentums von dem der jüdischen Religion theologisch unterscheidet. Die Frage, die sich mir aber stellt, ist ob die messianistischen Bewegungen der Christen und Juden sich wirklich so stark von einander unterscheiden. M.a.W, ob also der theologische Hintergrund wirklich eine so große Rolle spielt, oder ob nicht eher das ‘Prinzip Hoffnung’ (habe Bloch allerdings nie gelesen) entscheidend ist. Inwieweit man Hoffnung allerdings ‘immer auch ein bisschen religiös eingefärbt’ versteht, ist vermutlich auch abhängig vom jeweiligen Verständnis von Religion. Wenn alles, was nicht immanent ist, oder sich irgendwie positivistisch aus der ‘Wirklichkeit’ ableiten läßt, schon religiös ist, dann wahrscheinlich schon.
So recht habe ich da auch keine Antworten, aber aus meiner christlichen Vergangenheit habe ich ein sehr starkes Misstrauen gegenüber allem Religiösen geerbt – und der positive Bezug auf den Messianismus bei Benjamin und Scholem irritiert mich genau deshalb.