Oskar Maria Grafs „Wunderbare Menschen – Heitere Chronik einer Arbeiterbühne nebst drolligen und traurigen Erlebnissen dortselbst“
Dennoch ist nichts von unserer damaligen Arbeit umsonst gewesen, denn die wirkende Zusammengehörigkeit der Wenigen hat sich im Laufe der Jahre erhalten, ist stärker geworden und hat die lauen und fremden Elemente abgesondert. … Missgeschick und Unglück können nicht zerbrechen, was eine gute Not zusammenschweisst. (S. 187)
Der 1927 entstandene Text beschreibt in loser Romanform die Zeit Oskar Maria Grafs bei der „Neuen Bühne“ in München ca. 1920-1927. Die Neue Bühne ist eine Arbeiterbühne, die für Graf soetwas wie die Bewahrung und Wiederbelebung sozialistischen Kampfgeistes nach der verlorenen Revolution war. Auf Betreiben des ehrgeizigen Direktors Felber als Arbeitergenossenschaft gegründet, hat die Neue Bühne aus meiner Sicht einige Ähnlichkeiten mit dem ausland, dies allerdings in deutlich kleinerem Massstab.
Ausland wurde ebenfalls in der Endphase einer kollektiven Bewegung (in diesem Fall der Hausbesetzungen im Berlin der 90’ger Jahre) gegründet, auch hier mit dem Gedanken, wichtige Momente der Bewegung zu bewahren, und ausland wurde ebenso wie die Neue Bühne von seinen Gründer/innen z.T. in eigenhändig umgebaut.
In der Geschäftstruktur unterscheidet sich die Neue Bühne allerdings deutlich, z.T. natürlich schon wegen seiner Größe, vom ausland. Während das ausland auch 10 Jahre nach seiner Gründung keine Löhne zahlt und der Hauptanteil der Arbeit weiterhin unentgeltlich geleistet wird, dominieren in der „Neuen Bühne“ von Anfang an die Festangestellten, unter ihnen der Direktor Felber und Graf als Dramaturg. Sie bestimmen über die künstlerische Ausrichtung und leisten auch die alltägliche Arbeit. Der Geist der Kollektivität geht hier v.a. vom genossenschaftlichen Vorstand aus, zu deren Sprachrohr sich Graf in seinem Buch und wohl auch während der Arbeit an der „Neuen Bühne“ selbst macht.
Die Schilderungen der Begeisterung und Selbstlosigkeit, mit der der Vorstand um und für seine Bühne kämpft, sei es durch Mitgliederwerbung, sei es durch unter Mühen aufgebrachte kurzfristige Kredite, sie zählen zu den pathetischsten aber auch mitreissensten Stellen in Grafs Buch:
Jeder half beispielsweise nachts vor den Uraufführungen mit, die Dekorationen zusammen zu zimmern, sie anzustreichen: der Direktor, der Maler, der Vorstand, die Aufsichtsräte. Wer da war, arbeitete mit. Es war fast so wie eine einzige Familie. Ich glaube, dass derartige Zusammenschlüsse von selbst die ihr fremden Kräfte ausscheiden und die Dazugehörigen immer mehr anziehen. (S. 55)
Neben großartig gelungenen Veranstaltungen sind für mich – und wohl nicht nur für mich – auch die verschiedenen Arbeitseinsätze im ausland in besonderer Erinnerung. „Hier baut sich das ausland“ stand nicht weniger pathetisch und selbstvergessen als die Schilderungen Grafs von der Neuen Bühne über der Baustelle, die das ausland werden sollte.
Über das Kollektive hinaus gibt es durchaus weitere Paralellen. Z.B. in der Beschreibung der Flut von Anfragen – Manuskripte im Falle der Neuen Bühne, erst CD’s und später dann emails im Falle des auslands – und der z.T. Chaotischen Verrenkungen, die nötig sind, um die aufdringlichsten Künstler abzuwimmeln.
Je bekannter und beständiger unsere Neue Bühne wurde, desto voller war zur Postzeit der Briefkasten. Der bestand aus einem Zweizentnersack, welcher innen an der Eingangstür am Briefkastenspalt an umgebogenen Nägeln gehängt war. Oft kam es vor, dass wir in der Frühe die Türe kaum aufschieben konnten, so erschreckend gross war der Einlauf.“ (S. 86)
Eine weitere eher traurige Paralelle, wenn auch irgendwie verständlich, ist das Desinteresse, dass die auftretenden Künstlerinnen, seien es nun Schauspieler oder Musikerinnen, dem politischen und kollektiven Selbstverständnis von Neuer Bühne oder ausland häufig entgegenbringen. Vielleicht nicht immer deutlich genug ausgesprochen ist meine Vorstellung vom ausland, ähnlich wie die Grafs von der Neuen Bühne, dass es gerade auf Grund seiner kollektiven Natur und des permanenten unentgeltlichen Engagements einen anderen Status haben muss, als solche Orte, deren ökonomische Ordnung (fast) vollständig auf Lohnarbeit beruht. Sobald jemand das ausland scheinbar wie jeden anderen Ort auch betrachtet, werde ich ähnlich wie Graf, der die völlig genervt von den ständigen (Lohn-)Forderungen der Schauspielerinnen erzählt, schnell recht humorlos.
Der Offizier strebt nach einem höheren Rang, der Schauspieler ewig nach besseren Rollen. Weiter kümmert ihn nichts. Die Klügsten erkennen das auch tief zu innerst und schweigen, die Dummen verraten ihre Gesinnungslosigkeit, ihren völligen Mangel an Ehre bei jeder Gelegenheit auf die drolligste Art und Weise (S. 114)
Trotz schwierigen Starts erspielt sich die Neue Bühne, auch durchaus parallel zum ausland, nach einiger Zeit einer Anerkennung in der Kulturszene der Stadt. Aber ob erfolgreich oder nicht, der Grundkonflikt zwischen Lohnarbeit und Engagement bleibt im Zentrum der internen Auseinandersetzungen und bedroht immer wieder die Existenz des Projekts. Die Neue Bühne, deren laufende Kosten durch die Lohnarbeit vergleichsweise hoch sind, scheitert am Ende daran, dass sie trotz ihres künstlerischen Erfolges und der vielen Kredite ihrer Genossenschaftlerinnen nicht genug Publikum erreichen kann, um die Kosten zu decken. Dem ausland, dass nur sehr niedrige laufende Kosten hat, droht diese Gefahr nicht. Hier geht eher das Engagement aus, als das Geld.
Nein, wir wollen uns immer auf uns besinnen. Nicht auf Glanz und Größe kommt es an, auf die Verwirklichung der Idee kommt es an!“ (S. 161)
Leave a Reply