Ich kultiviere ein ausgeprägtes Unbehagen, wenn es um ‘esoterische’ Heilmethoden geht. Sei es Homöopathie oder Aromatherapie oder Handauflegen usw. usf., solche ‘autoritären’ Verfahren sind mir immer schon suspekt gewesen. ‘Autoritär’ deshalb, weil die Heilwirkung solcher Verfahren am Ende immer mit schwer zu hinterfragender Autorität behauptet wird. Entweder wird auf einen Erfinder verwiesen, der in einem genialen Augenblick eine Einsicht hatte, und bzw. oder es wird auf Heilerfolge verwiesen, ohne allerdings nachvollziehbar zu erklären, wie diese Erfolge zustande kommen.
Allerdings hatte ich immer Schwierigkeiten, sinnvoll zu begründen, wieso mir solche Methoden so viel mehr Bauschmerzen bereiten als die Schulmedizin (wie sie so schön abfällig von ihren Gegnern genannt wird). Bisher habe ich immer versucht, mein Unbehagen mit der Struktur des Wissens zu begründen: Medizinisches Wissen ist ganz anders strukturiert, hinterfragbarer und übertragbarer auf einzelne Individuen, als “dieser esoterische Unsinn”. So eine Begründung war immer unbefriedigend, denn am Ende ist es mit der wissenschaftlichen Methode in der Medizin gerade vor dem Hintergrund ihrer Subsumption unter die Profitinteressen der entsprechenden Konzerne nicht all zu weit her.
Und deshalb war ich sehr erfreut, als ich letztens in Alain Badious Buch ‘Paulus – Die Begründung des Unversalismus‘ folgendes las:
Der Versuch, ein Bekenntnis durch die intime Ressource einer mirakulösen Kommunikation mit der Wahrheit zu legitimieren, ist niemals gerechtfertigt. Überlassen wir die Wahrheit ruhig ihrer subjektiven “Stimmlosigkeit”, denn nur die Arbeit ihres Bekennens ist es, die sie konstituiert.
Jeden ausgesprochenen Diskurs, der sich durch einen nicht ausgesprochenen autorisieren will, nenne ich “obskurantistisch”.
(S. 100)
Esoterik ist also Obskurantismus, das wusste ich schon immer, nun aber finde ich es in philosophischen Worten ausgedrückt und bestätigt.
Natürlich verschiebt man mit so einer Definition am Ende nur das Problem: Denn wo man vorher sagte: Esoterik – sagt man jetzt ‘unaussprechlicher Diskurs’ und hat damit nicht allzuviel geklärt. Aber immerhin, wenn Badiou Recht hat, ist das Problem ein diskursives, und kein strukturelles.
Aber was ist unaussprechlich? Wie steht es mit, sagen wir zum Beispiel, Psychoanalyse: Steht dort nicht auch ein unaussprechlicher Diskurs im Hintergrund, zu dem die Freund’sche Metaphorik nur mühsam dem Wort einen Weg gebahnt hat? Das ist sicher debatierbar, obwohl ich sicher nie sagen würde, Psychoanalyse sei obskurantistisch. Denn auch wenn der psychoanalytische Diskurs noch auf Unaussprechliches verweist: Der Versuch zählt. Die Psychoanalyse versucht, das Unaussprechliche der Sprache zugänglich zu machen. Klassische Esoterik versucht genau diesen Weg zu verstellen, anstelle ihn zu bahnen.
Aber wenn nicht Psychoanalyse Obskurantismus ist, wie steht es dann mit Kunst? Kunst verweist fast immer auf einen unausprechlichen Diskurs, wäre nach Badious Definition also obskurantisitisch. Der Unterschied hier liegt meiner Ansicht nach darin, das es nicht oder nur bedingt um das Autorisieren eines Diskurses geht. Kunst wird nicht dadurch zur Kunst, dass sie auf ein immer gleiches nicht-künstlerisches Unaussprechliches verweist, sondern sie macht das Subjektive eines immer verschiedenen Unaussprechlichen sichtbar. Nicht solche intersubjektiven Begriffe wie Diskurs und Autorität greifen hier, sondern nur solche subjektiven Begriffe wie Versuch, Ansicht, Vorschlag und Idee.
Wenn aber weder Kunst noch Psychoanalyse Obskurantismus sind, wie steht es dann mit Religion? Religion verweist in ihren ethischen wie transzendentalen Aspekten auf einen unaussprechlichen Diskurs und ist sicherlich auch intersubjektiv, d.h. richtet sich nicht an der Empfindung eines Individuums aus, sondern behauptet eine Wahrheit, die allen Menschen offen steht.
Hier, so denke ich, passt der Begriff des Obskurantismus ohne Frage. Man ist sogar versucht, eine Rangordnung der obsuren Religionen zu erstellen. Und sicher wäre Scientology sehr weit oben auf dieser Rangordnung des Obskuren mit Außerirdischen, Atomexplosionen und einer Zeitrechnung jenseits aller wissenschaftlichen Erkenntnisse. Obwohl man schon sagen muss, daß auch die Heilige Dreifaltigkeit des Christentums ziemlich obskur ist und nur die lange kulturelle Gewöhung an sie hat ihren obskurantistischen Beigeschmack etwas gemildert.
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