Im Ausland und in den Sophiensälen findet im Dezember das Festival “Dein Wort in Gottes Ohr” (abgekürzt dwigo) statt, dass sich mit dem Religiösen in der Kunst beschäftigt. Das Programm, und Texte zu den einzelnen Konzerten, Installationen und Performances kann man nach und nach unter dwigo.net finden.
‘Dein Wort in Gottes Ohr’ ist ein missionarisches Festival. Es bläst zum Angriff auf Weihnachen als letzter Bastion des Christentums im Alltag. Weihnachten darf nicht länger gläubiger Besinnlichkeit gehören, sondern muss zum Symbol kritischen Kunstkonsums werden. Denn Kunst ist die neue Religion – eine Synthese aus frommer Irrationalität und kritischer Theorie. In sie ist das Beste aus Christentum und Aufklärung eingeflossen.
Um die Hintergründe und Debatten um Dwigo etwas tranparenter zu machen, werden hier auf diesem Blog in loser Folge Beiträge zum Festival, zu Religion und zu ihrem Verhältnis zur Kunst unter der Kategorie ‘dwigo‘ veröffentlicht.
JP
Lieber Conrad,
danke für deine Einladung zu Deinem Blog. Gerne überlege ich mir einen Beitrag zum Festivalthema. Ich muss aber gestehen, dass ich mich jetzt schon sehr lange nicht mehr wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt habe.
Am ehesten kann ich auf die Lecture Performance verweisen, die David WK und ich im September beim WUNDER DER PRAERIE-Festival gehalten haben. Siehe unser Blog. Da kam das Theam Religion auf eine auch für mich überraschende Weise daher, nämlich in Verkleidung von Bildtheorie, das war nämlich unser Thema. Wir landeten schließlich beim schielenden Jesus von Jan van Eyck.
Das Schielen entpuppt sich für mich als quasi DIE relgiöse Praxis überhaupt. Schielenden Auges lassen sich Jen- und Diesseits, Wissen und Glauben, Moderne und Vormoderne in Deckung bringen – zumindest annähernd. Schielen ist etwas anderes als Ironie. Ironie ist ein Werkzeug der Aufklärung, die das Falsche im Richtigen (und umgekehrt) entdeckt und benennt. Schielen bedeutet aber das Falsche und das Richtige nicht trennungsscharf zu sehen, nicht nur, sich nicht entscheiden zu müssen, sondern eben die Grenze nicht zu sehen. Schielen ist eben eine Wahrnehmungspraxis und KEINE Deutungspraxis.
Die christliche Bildtheorie und -Praxis hat da eine Menge Tipps parat. Und ist darin sehr theatral: man denke an die Erscheinungen Gottes vor Moses in einem brennenden Busch oder in eine Wolke gehüllt, zu finden im AT. Eine sehr wagnerische, sehr opereske Inszenierung. Ein Theatertrick, eine David-Copperfieldiade.
Es ist die Kunst des ikonoklastischen Abildens. Und die beherrscht niemand so, wie der christliche Gott, gewissermaßen der Malewitsch der Religion. Sein großes Werk, der Mensch, ist sein Selbstportrait. Und daher war es nur konsequent von Albrecht Dürer, sich 1500 selbst als Jesus zu portraitieren. Dürer ist eben ein Deutscher – er bezieht das ganze Mysterium des Seins auf sich selbst. Deutsche Gründlichkeit. Michelangelo malte Jesus in der Sixtinischen Kapelle noch als verträumte homoerotische Putte, das ist letztlich wohl die produktivere Variante, in jedem Fall die lustvollere…
Gott widerholt und kopiert sein Werk unendlich mit jeder Geburt. Kunst in Serie wie Warhols Siebdrucke. Gott als Andy Warhol. Warhol war vielleicht Gott. Obwohl wir dachten Joseph Beuys war Gott. Aber Beuys war eben Deutscher, er nahm die Sache zu ernst.
Bei Nico, alias das schlacksige 50er-Jahre-KDW-Modell Christa Päffgen, bin ich mir dagegen nie so sicher, wie ernst sie sich und den ganzen Mystizismus nahm. Vielleicht war sie die einzige wahre Warhol-Jüngerin, weil sie konsequent ihre eigene Identität mit ihrer Kunst verwechselt hat. Oder ist es eher der schielende Blick, den sie vom Meister lernte? Identität? Fehlanzeige.
Wir sind alle Farbabzüge eines Selbstportraits, das niemand gesehen hat. Und man muss schon sehr stark schielen, um nicht zu erkennen, dass alle diese Zeroxe unterschiedlich aussehen. Darin besteht Hoffnung!
caribu
Hallo JP,
ich musste ja erstmal nachschlagen, was denn der schielende Jesus von Jan van Eyck ist und habe das hier gefunden:
Meinst du das Bild?
Schielen als “DIE relgiöse Praxis überhaupt” zu werten, kommt – wenn das Schielen nicht eine absichtlich ausgeübte Praxis ist, sondern sowas wie ein ‘Geburtsfehler’ – der Unterstellung nahe, Religion als ‘krankhaft’ zu werten. Aber das ist vielleicht eine extreme Interpretation deiner Metapher.
Ich mag die Idee, dass Religion vielleicht mit unscharfer Wahrnehmung zusammenfällt, eine Unschärfe, die ja auch manchmal in der Kunst Voraussetzung für Deutung ist. So wie die göttliche Copyart erst nach massivem Schielen ihr Orginal erkennbar werden läßt, gewinnen die verschiedensten Kunstwerke erst durch die Unschärfe ihrer Begriffs- und Deutungsräume die Komplexität, die sie über Logik und strukturierte Argumente hinaus bedeutsam machen.
Kunst ist die neue Religion! Ein Slogan, der mich als Agonstiker oder fast schon Atheist langsam an der Kunst zweifeln läßt.