Ich lese relativ regelmäßig boingboing. Dort hatte Cory Doctorov, einer der Blog-Autoren, Clay Shirkys Buch ‘Here comes everybody’ besprochen und in den höchsten Tönen gelobt. Da mich das Thema interessiert und ich viele der Kommentare von Cory Doctorov auf seinem Blog mochte, habe ich mir das Buch bestellt.
Clay Shirky versucht sich darin an einer Analyse der durch die neuen Technologien von Vernetzung mittels des Internets ermöglichten gesellschaftlichen Tendenzen. Grundlegend sieht er eine Vereinfachung von Gruppenbildung durch diese Technologien. Das Internet reduziert laut Shirky drastisch die Transaktionskosten, die mit Gruppenbildung verbunden sind. Er beruft sich hier auf Coase’ Analyse von Transaktionskosten in dessen Text ‘Nature of the Firm’ und postuliert die Entstehung von Organisationsformen jenseits von Markt und Firma, quasi unterhalb der von Coase angesetzten Bipolarität zwischen Markt und Firma. Lt. Coase ist eine Firma als Organisationsmodell sinnvoll, wo sie Transaktionskosten effektiver verwaltet als der freie Markt.
Lt. Shirky ermöglicht die Internet-vermittelte Reduktion von Transaktionskosten kollektive Wertproduktion in Bereichen, in denen weder eine Firma noch der Markt kosteneffektiv operieren können. Shirky verfällt immerhin nicht in einen grenzenlosen Optimismus, was solche Wertproduktion bzw. solches Potential zur Gruppenbildung bedeutet. Auch die jetzt möglichen neuen Gruppen können rassistische, klassistische etc. Inhalte transportieren bzw. produzieren.
Shirky versucht mittels der Begriffe ‘promise’, ‘tools’ und ‘bargain’ einen Rahmen abzustecken, mittels dessen sich die Erfolgschancen für solche neuen Gruppen ablesen bzw. vorhersagen lassen. Leider liest sich das ganze Buch wie ein Managerseminar. Ein Pitch und eine gewollt griffige Formulierung jagt die nächste, gleichzeitig wird jeder Verweis auf philosophische Diskurse streng vermieden, fast so als wolle Shirky sein Zielpublikum , gestresste Manager von Internet-Startups, auf keinen Fall überfordern und auch auf keinen Fall durch Verweise auf anrüchige Diskurse wie historischen Materialismus vor den Kopf stossen. Wo sich Verweise geradezu penetrant aufdrängen, werden sie durch neu erfundene, vermeintlich leichtere Forumlierungen verdeckt und unsichtbar gemacht. So zieht sich durch einen Teil des Buches die Formulierung ‘more is different’, eine Umschreibung des Umschlags von Quantität in Qualität, der sog. qualitative Sprung (siehe Engels: Dialektik der Natur).
Doch mit der Weigerung, sich solcher philosophischen Termini zu bedienen, wird nicht das Verstehen des Textes erleichtert, sondern da mit den Begriffen auch die diskursive Einbettung fehlt, wird der ganze Text leichter im Sinne von: weniger gehaltvoll: less is different.
Shirky gelingt es nicht mit ‘einfachen Worten’ einen neuen Diskurs zu skizzieren. Im Gegenteil, er scheitert komplett an einer Diskurs- und Begriffsbildung, die einen gedanklichen Rahmen für die beschriebenen Prozesse bilden könnte. So bleibt sein Buch am Ende eine Reihe von executive summaries, die von netten Beispielen aufgelockert werden.
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