Lindy Annis’ Performance “Warburg’s Memo” (zusammen mit Antonia Baehr und Nicholas Bussmann) ist eine vielschichtige Erzählung über Aby Warburgs Bildatlanten. So wie Aby Warburg mit seinen Bildtafeln einen speziellen Raum zwischen Kunst und Kunstkritik betritt, der solche Unterscheidungen verschwimmen läßt, erzählt Lindy Annis nicht nur über Warburg, sondern sie erzählt auch als Warburg – und in der Performance fließen diese Erzählpositionen ineinander.
Vor diesem erzählerischen Koordinatensystem entsteht im Laufe der Performance ein fast bedrohliches Bild Warburgs und seiner Wahrnehmung antiker und klassischer Kunst. Erschlossen wird dem Zuschauer Warburgs Welt über den Begriff der Erinnerung, der individuelle Erinnerung wie auch kulturelles Gedächtnis meint. Diese Erinnerung ist zwar sehr assoziativ, und scheint Zeiten und Kontexte leicht überspringen zu können, aber sie ist auch eingefroren. Sie bezieht sich v.a. auf (Stand-)Bilder und auch die Assoziationen, die sie hervorruft, erstarren – eben zur Warburg’schen Pathosformel.
Sowohl verstärkt als auch spielerisch gewendet wird diese unheimliche Starre durch das Bühnenbild – eine Sammlung großer Stellwände bedruckt mit schwarz-weißen Abbildungen aus Warburgs Bildaltas. Auch wenn die Stellwände zwischendurch zu tanzen beginnen, so sind sie doch v.a. Begrenzungen im Gedanken- wie auch im Bühnenraum. In einer ähnlichen spielerischen Bewegung werden auch die drei Performer/innen und die anderen am Stück beteiligten Personen zu Punkten auf einem improvisierten Stadtplan Berlins und damit in Warburgs Welt erst sichtbar. Der Erstarrung entkommen nur die Schlangen, die laut Warburg nach dem Ende eines Rituals der Hopi-Indianer die Kultstätte in alle Richtungen verlassen und sich so der unheimlichen Todesstarre entziehen können.
Im Kontrast zum beinahe unheimlichen Thema der Performance steht die Leichtigkeit ihrer Erzählweise. So erinnern die öffentlich ausgehandelten Rollenwechsel der Performer/innen, wo z.B. der Bruder Warburgs zu Antonia Baehr wird, an Rollenspiele von Kindern, deren Regeln im Ablauf des Spiels gemeinsam immer weiter entwickelt werden.
“Warburg’s Memo” ist eine dichte Performance, kaum ein Wort oder eine Geste zuviel. Aber trotzdem hinterläßt sie eine Leerstelle in mir. Eine Frage, die man z.B. bei Vorträgen oder auch Lecture Performances nicht stellt, die aber scheinbar zu den Erwartungen an das Genre “Performance” gehört, bleibt unbeantwortet: Die Frage nach dem persönlichen Interesse der Performer/innen am Thema. Warum Warburg und warum Erinnerung? Nicht das eine Antwort auf diese Frage tatsächlich wichtig wäre. Denn schließlich gibt “Warburg’s Memo” äußerst spannende Antworten auf andere Fragen: Was wollte Warburg und in welcher Beziehung steht Erinnerung zur Wahrnehmung? Und schliesslich weist so eine offene Frage ja auch auf die “Genre-Formel” der Performance hin.
Nickel
ziemlich nah an meiner Wahrnehmung der Sache, dicke Grüsse und auf ein baldiges Gespräch zur grossen konservativen Revolution
caribu
Hallo Nickel,
habe auch noch einen Artikel über Aufstand und Revolution in petto, der gut auf das Thema “konservative Revolution” passt. Ist schon fertig, muss nur noch getippt werden, was aber ein bisschen arbeit ist. aber solang muss das gespräch nicht warten, cc