Eine schrittweise Rezension in vier Emails
aus der ersten email:
Tagsüber ist selbst lesen nicht ganz einfach – ich habe elizabeth grosz – chaos, territory, art angefangen und habe einen ganzen Tag für die ersten 24 seiten gebraucht… das Buch scheint wirklich ein ziemlich zweifelhaftes Projekt zu sein, fast möchte man meinen, es wurde in dem Wissen geschrieben, dass es den Künstler/innen als Zielgruppe reicht, wenn man imposante Zusammenhänge behauptet, und dass die sich doch nicht die Mühe machen, darüber näher nachzudenken. In a nutshell (wohlgemerkt die ersten 24 seiten): Kunst ist wie Philosophie in erster Linie eine Kontext-Maschine, in der neue Beziehungsrahmen geschaffen bzw. vorhandene durchbrochen werden, jeweils mit dem Ziel, das ungeordnete Chaos der zugrundeliegenden Natur erfahrbar und natürlich insbesondere neu erfahrbar zu machen. Kunst geht es um Sensations (Erfahrungen?), aber nicht um das reproduzieren von Sensations sondern um das Erzeugen von neuen. (Denn Reproduktion ist keine Kunst…) Und natürlich geht es nicht darum, eine Hierarchie zwischen Kunst und Philosophie aufzumachen, eher die gemeinsamen Wurzeln freizulegen, trotzdem ist natürlich klar (?), dass Architektur die primäre Kunstform ist, von der sich alle anderen ableiten, denn das Medium der Architektur sind ‘frames’ (Beziehungsrahmen), wie man unschwer feststellen kann, wenn man sich architektonische Pläne anschaut. Viel von dem imposanten Gepräge des Textes entsteht durch den doppelten Bezug auf Deleuze und Darwin, wobei der eine wohl für die Verwurzlung in der aktuellen Debatte und der andere für wissenschaftliche Credibility herhalten muss. Zusätzlich zum oben geäußerten Verdacht des unverblümten Opportunismus befürchte ich auch noch eine essentialistische, also sehr konservative Stoßrichtung, wie sie in Wendungen wie ‘irreducibility of sexual difference’ schon aufscheint. Lustig in jedem Fall die mehrfach wiederholte Behauptung, dass Deleuze Konzeptkunst scheisse fand…
aus der zweiten email:
Kapitel zwei habe ich nun durch, Kapitel 3 dauert noch. Ich habe für die letzten 15 Seiten nochmal 3 Stunden gebraucht. Alle denken an das eine, doch dafür ist’s zu heiss.
Was gibt es neues? Dass Popmusik keine Kunst ist (ich nehme mal an, die Beatles, Jimi Hendrix, Madonna, the Roots und Bob Marley sehen/sahen das etwas anders), dass der Refrain die Verhinderung von Musik und Musik die Befreiung des Refrains ist (wohl eine rein Deleuze’sche Behauptung und noch vergleichsweise einleuchtend), dass Leben grundlegend Virbration ist und dass deshalb Musik besonders grundlegend auf Lebendiges wirkt (ist das wirklich was neues?). Jakob von Uexküll wird ausführlich im Anschluss an Deleuze/Guattari zititert und scheint mal wieder die interessantere Lektüre zu sein. Diese postmoderne Deleuze’sche Jargon geht mir einfach extrem auf die Ketten, so offensichtlich ist er für Akademia gemacht. Und insofern sind die immer wieder erwähnten Diskussionen unter Deleuze-Kennern z.B. über den Status von Popmusik eigentlich das traurige und lustige weil eben komplett absurde Highlight dieser Groszen Texte.
aus der dritten email:
Und hier nun der nächste Teil in unserer unterhaltsamen Serie zu Fr. Grosz.
Kapitel 3 dreht sich um Malerei. Der Anfang ist erstmal ziemlich redundant (was auch daher kommt, dass die einzelnen Kapitel mal Vorträge waren), aber eben auch daher, dass der Hauptbezugspunkt Deleuze ist und der ist (soweit ich das verstehe) ein Meister der zirkulären Logik. Aber wo das (soweit ich das verstehe) bei Deleuze noch mit einem Augenzwinkern passiert, ist es bei Grosz dann schon voller Ernst. Sie macht sich an die vollständige Exegese dessen, was Deleuze unter Kunst verstanden hat, und was rauskommt ist reichlich skuril. Kunst bringt zuallerst Sinneswahrnehmungen hervor, und Sinneswahrnehmungen (sensations) sind Vibrationen und Vibrationen sind Differenzen. Also ist Kunst auf Differenzen aus. Boah ey. Oder: Kunst und Wissenschaft und Philosophie sind verschiedene Methoden (?), dem Chaos der natürlichen Welt zu begegnen. Sie haben die gleiche Grundmotivation (nämlich dem Chaos ins Auge zu schauen) aber gehen komplett verschiedene Wege. Und das hat zur Folge, dass die drei nicht wirklich Aussagen über die jeweils anderen machen können. Aber die Feststellung, dass Sinneswahrnehmungen Vibrationen sind, hat eigentlich nur dann Sinn, wenn sie wissenschaftlich wäre. Aber genau das ist sie nicht, und so sind diese Vibrationen eine ziemlich leere Metapher, die ungelogen dann sogar mit subatomischen Teilchen plausibel gemacht wird. Tralala. Oder: Wenn Kunst Sinneswahrnehmungen entstehen läßt, dann macht sie dass, indem sie ihren Rohmaterialien Intensitäten entlockt. Was bitte schön ist das denn für ein Kunstverständnis? Nur was intensiv ist, ist Kunst? Oder ist Intensität etwa wieder so ein Begriff, der auch sein Gegenteil meint: also die Intensität der Langeweile? Was genau haben wir jetzt also gelernt? Boing boing boing. Überhaupt passt diese ganze Kunst-Philosphie mit auch und krach auf Musik, Architektur und Malerei, aber bei Literatur und Bühnenkunst sehe ich mit dieser Herangehensweise überhaupt kein Land. Was schon ganz interessant ist, weil unter bezug auf Darwin immer wieder auf das Balzverhalten von Tieren verwiesen wird, mit der Behauptung, hier sei der Ausgangspunkt von Kunst zu suchen, um dann näher auf die Gesänge der Vögel (Musik) oder auch ihr Gefieder (Malerei) einzugehen. In dem Zusammenhang fallen dann schon auch Begriffe wie Bühne oder Show(kampf), aber an eine weitere Auseinandersetzung damit wagt sich Grosz nicht. Denn hier bricht ihre evolutionsgeschichtliche Kunstheorie dann ganz schön ein: Nicht die Musik, nicht das Territorium (Deleuze läßt grüßen) begründen hier die Kunst, sondern bestenfalls tun sie es zusammen mit dem Rollenspiel, dem Spielen als-ob. Und klar ist die Überlegung interessant, die Kunst nicht nach der Kulturwerdung des Menschen sondern schon vorher anfangen zu lassen, aber am Ende liest sich das mehr wie eine Apologie des Territorium-Begriffs von Deleuze (den ich auch nicht verstehe) als wie eine Genealogie. Noch bin ich nicht durch mit dem dritten Kapitel, also wird es wohl noch einen Nachschlag geben (es fehlen noch insgesamt 15 seiten bis zum ende des buches, die spannung steigt…)
Aber immer wieder ärgere ich mich über diese Sprache. Dieses selbstgefällige Gewäsch, dessen einziger Mehrwert zu sein scheint, Nicht-Akakdemikern den Zugang zu versprerren, dass kotzt mich einfach an. Nichts in dem ganzen Buch hätte nicht auch ohne Deleuze’sche Terminologie auskommen können (bzw. hätte diese auf die Zitate beschränkt bleiben können). Aber da man ja Deleuzianerin ist muss man auch sprechen wie Deleuze. Nur leider ist die Geste von Deleuze, die diese Terminologie erfunden hat, um gerade nicht auf Akademika beschränkt zu werden, jetzt zum Gegenteil geworden. Grosz ist eben doch nur ein wenn auch begabter Zauberlehrling.
Und fast vergessen hätte ich, dass sich die Kuh auch noch an Freud vergreift, um festzustellen, dass Freud Kunst durch Sublimation aus der Sexualität ableitet. Das ist aber laut Grosz viel zu roh, denn tatsächlich ist das Verhältnis von Kunst und Sexualität viel undurchsichtiger (‘oblique’), und kann nicht auf solche anmassend Freudianischen Begriffe gebracht werden. Auch wenn das erstmal nach so gut wie gar keiner Differenz klingt, so ist das doch für Grosz Anlass genug, Freud (natürlich mittels eines Zitats von Deleuze) zu verwerfen.
aus der vierten Email
Das Buch von Fr. Grosz habe ich in der Tat durch, es kann also hier bleiben. Die letzten 15 Seiten haben nochmal eine andere Seite von ihr zum Vorschein gebracht, die der begeisterten Rezipientin. Das war sehr angenehm. Sie waren der Beschreibung und Verortung von zeitgenössischer Kunst von Western Desert Aborigines aus Australien gewidmet. Das war dann alles schon sehr lesenswert, weil sie das Spannungsfeld zwischen Tradition und Markt, in dem diese Kunst entsteht ziemlich einleuchtend in die Deleuze’sche Begriffswelt eingebaut hat. (Natürlich nicht ganz ohne Merkwürdigkeiten, so z.B. indem sie andeutet, dass die Aborigines aufgrund von evolutionärem Druck besondere Fähigkeiten zum geographischen Erfassen von Landschaften hätten, was mit hoher Wahrscheinlichkeit Mumpitz ist.) Aber alles in allem wird die Verbindung dieser Kunst zur Landschaft und zu Geschichte dieser Landschaft schon sehr schön, weil sehr begeistert, erzählt. Und auch wenn diese Exegese im Rahmen von Deleuze’schen Begriffen stattfindent, ist es ihr auf einmal doch möglich, diese Begriffe hinter sich zu lassen und eine mehr eigenständige Sprache zu finden. Hätte sie mit diesen Kapiteln angefangen und von dort aus ihre (bzw. die Deleuze’schen) Begriffe entwickelt, ich glaube das ganze Buch hatte eine viel konkretere, weniger bornierte Richtung bekommen.
Dass das Buch von ihr in meiner Erzählung krude klingt, ist natürlich völlig beabsichtigt. Ich finde es auch krude. Aber es versucht schon, den krudesten Problemen aus dem Weg zu gehen, indem es sich in einem Diskurs verortet, der sich gerade durch das Bewusstsein dessen auszeichnet, was ein Diskurs ist. Eingedenk dessen, wie ein Diskurs die Fragen, die durch ihn verhandelt werden, von vornherein in ein bestimmtes Raster zwängt, ist die Postmoderne (soweit ich das verstehe) u.a. der Versuch, den eigenen Meta-Diskurs permanent mitzudenken. Deshalb die zirkulären Argmentationen, die eher in Begriffsfeldern funktionieren, als in klassischer Logik, daher ständig das Gefühl, man lese eher extrem verwirrende Literatur als Philosphie. Die Sache ist bloss die, dass solche Versuche immer dann scheitern, wenn sie sich selbst zu ernst nehmen, wenn sie also das Spielerische gegen den Brotjob Akademia tauschen. Dann liest man auf einmal nicht mehr Philosophie cum Literatur sondern nur noch eine Semesterarbeit. Denn die Kunst zum Affen zu machen, und die Kunst als den Moment zu beschreiben, indem zum animalisch-künstlerischen die Grenzüberschreitungen der Freude am Dasein kommen, was ist das schon anderes als eine gelungene Provokation. Ob es sich ‘wirklich’ so verhält? Who cares?
Elizabeth Grosz – chaos, territory, art
* Urlaub 2010 in Sizilien
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