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Norman Cohn und der Messianismus

Norman Cohns Buch “The Pursuit of the Millennium” ist die geschichtliche Darstellung einer Reihe von größeren und kleineren sozialen Bewegungen, denen gemeinsam ist, dass sie ihre Ziele in mehr oder weniger endzeitlichen Begriffen formuliert haben. Cohn schreibt:

This book deals with the milleniarianisms that flourished amongst the rootless poor of western Europe between the eleventh and the sixteenth centuries; and with the circumstances that favored it. But if that is the main theme, it is not the only one. For the poor did not create their own milleniarian faiths, but received them from would-be prophets or would-be messiahs. And these people, many of them former members of the lower clergy, in turn took their ideas from the most diverse sources. … This book examines both how these various bodies of millenarian belief originated and how they were modified in the course of being transmitted to the poor.
(S. 14)

Albrecht Altdorfer: Alexanderschlacht (Kampf Alexanders des Großen gegen Perserkönig Darius) 1529

Albrecht Altdorfer: Alexanderschlacht (Kampf Alexanders des Großen gegen Perserkönig Darius) 1529

Viele, wenn auch nicht alle der beschriebenen Bewegungen haben Klassenkampfcharakter, d.h. sie sind Bewegungen von Armen bis sehr Armen, die sich gegen die herrschende Klasse richten. Cohn verfolgt die These, dass alle – also auch moderne – Bewegungen, die die vollständige Umwälzung der Gesellschaft anstreben, zumindest teilweise endzeitlichen Charakter haben. Und in welcher Art man sich den endzeitlichen Charakter vorstellen muss, wird vielleicht am folgenden Beispiel deutlich:

The self-exaltation of the poor emerges still more clearly from the curious stories, compounded of fact and legend, which are told of the people called ‘Tafurs’. A large part – probably by far the larger part – of the People’s Crusade [in the year 1096] perished on its journey across Europe; but enough survived to form in Syria and Palestine a corps of vagabonds – which is what the mysterious word ‘Tafur’ seems to have meant. Barefoot, shaggy, clad in raggish sackcloth, covered in sores and flith, living on the roots and grass and also at times on the roasted corpses of their enemies, the Tafurs were such a ferocious band that any country the passed through was utterly devastated. Too poor to afford swords and lances, they wielded clubs weighted with lead, pointed sticks, knives, hatchets, shovels, hoes and catapults. When they charged into battle they gnashed their teeth as though they meant to eat their enemies alive as well as dead. …

The Tafurs are shown as having a king, le roi Tafur. He is said to have been a Norman knight who had discarded horse, arms and armour in favour of sackcloth and a scythe. At least in the beginning he was an ascetic for whom poverty had all the mystical value which it was to possess for St. Francis and his disciples. …

Profanieren – aber wie?

Giorgio Agamben behauptet in seinem Essay ‘Lob der Profanierung‘, im Profanieren läge politisches Potential. Allerdings, so Agamben, sei es sehr schwer geworden, im “spektakulären Kapitalismus” noch zu profanieren. Die Bedeutung profanierenden Handelns ergibt sich aus Agambens Analyse der Religion und daraus, auch den Kapitalismus – im Anschluss an Walter Benjamin – als religiös zu betrachten.

Das theologische Dilemma von An- und Abwesenheit

Wenn das Uhrwerk kaputt geht, muss der Uhrmacher flicken. Er ist ein schlechter Uhrmacher, sonst müsste er sein Werk nicht flicken. So dachte Leibniz über Gott nicht. Die Schöpfung bedürfe ihres Schöpfers nicht, sie sei sonst unvollkommen. Weil aber die Zeit für den Freiherrn von Leibniz nicht zur Schöpfung gehörte, fragte er sich, was vor der Schöpfung gewesen sei und erkannte: den Uhrmacher. Der Freiherr von Leibniz hingegen gehörte ohne Zweifel zur Schöpfung dazu, weshalb er des Uhrmachers nicht bedurfte. Damit hätte die Angelegenheit begraben sein können. Weil er, Leibniz, aber Philosoph war, fragte er: «Wo ist Gott?» und erkannte: weg ist er. Gott ist ein abwesender Uhrmacher. Dessen Maschine läuft und läuft und läuft und Schmerzen bereitet, weshalb wir glauben, sie müsse geflickt werden. Weshalb Leibniz sein, Leibniz’, Werk «Theodizee» nannte. Womit Gottes Abwesenheit als Wunde markiert war. Womit Gott noch nicht tot war. Womit er doch noch irgendwie da war. Die Abwesenheit ist nicht dasselbe wie der Tod. Die Abwesenheit gehört zur Anwesenheit dazu, wie der Freiherr von Leibniz zur Schöpfung dazu gehört. Das ist offenbar. Gott ist abwesend in dem Sinne, als dass er nicht offenbar ist:«Wahrhaftig, du bist ein verborgener Gott.» (Jesaja 45,15) Auf tritt Martin Luther. Gott kann gar nicht erkannt werden. Vor allem andern nicht von den Philosophen. Es gibt nichts zu sehen. Nur geglaubt kann er werden: «Sola fide». Mitten am Rand des Erkennens angelangt.

Marin Bieri (Schauplatz International) über An- und Abwesenheit mit bezug auf ihre Performance ‘Expedition’, die im Rahmen von ‘Dein Wort in Gottes Ohr‘ gezeigt wird.

Dwigo Links

Hier werde ich Links zusammenstellen, die ich im Zusammenhang mit “Dein Wort in Gottes Ohr” bemerkenswert finde, für die aber nicht wirklich vielmehr als eine nette Anekdote sind. Wer zur Linkliste beitragen will, kann einfach einen Kommentar zu diesem Eintrag hinzufügen.

Hell House

In dem Video von Richard Dawkins kurz erwähnt, wollte ich mehr über Hell House erfahren. Wie sich herausstellt, gibt es darüber eine Dokumentation aus dem Jahr 2001.

Hell House ist ganz schlicht und einfach die evangelikale Variante von Haunted Houses, wie sie zu Haloween in den USA schon eine lange Tradition haben. Ein Haunted House ist sowas wie eine self-made Geisterbahn, die temporär zu Haloween in irgendwelchen leerstehenden Häusern eingerichtet wird. Es geht um Verkleiden und Gruseln und um Haloween-Spass.

God Delusions

Richard Dawkins BBC-Documentaries über den “Gotteswahn” sind scheinbar naive Nachfragen eines Wissenschaftlers, der die ganze Sache mit der Religion nicht so recht verstehen kann. Zum Teil mit einer ähnlichen Haltung wie Borat, stolpert er fast von einem Interview ins nächste. Und wie Borat ist er dabei dann doch weder naiv noch unschuldig.

Dein Wort in Gottes Ohr

Im Ausland und in den Sophiensälen findet im Dezember das Festival “Dein Wort in Gottes Ohr” (abgekürzt dwigo) statt, dass sich mit dem Religiösen in der Kunst beschäftigt. Das Programm, und Texte zu den einzelnen Konzerten, Installationen und Performances kann man nach und nach unter dwigo.net finden.

Image courtesy of churchsigngenerator.com

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Jubilee: eine jüdisch-christliche Tradition als Inspiration für soziale Kämpfe

Was folgt sind hauptsächlich Notizen nach ‘The Many-headed Hydra: Sailors, Slaves, Commoners, and the Hidden History of the Revolutionary Atlantic, von Peter Linebaugh & Marcus Rediker

Jubilee, oder lt. der Lutherbibel (1910) ‘Halljahr’, neuere Ausgaben sprechen von ‘Erlaßjahr’, ist ein jüdisches Gesetz, das in Moses 3 (Leviticus), Kap. 25 beschrieben wird. Das Gesetz bestimmt, dass jedes 50. Jahr als heiliges Jubilee gefeiert werden soll. Im Jubilee-Jahr sollen alle Sklaven und Gefangenen freigelassen, alles gekaufte Land (mit einigen Ausnahmen) an die Vorbesitzer zurück gegeben, alle Schulden erlassen, alle Arbeit eingestellt und das ganze urbare Land brach gelassen werden.

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